Navigationsbereich

Deutsch lernen – mit ungeahnten Folgen

Wörterbucheintrag "Deutsch"
© Getty Images/stockcam

Anfang der 90er-Jahre war eine Karriere als Postdoktorand, ob in Europa oder Indien, anscheinend immer mit Fristen verbunden: Im Schnitt lief ein Stipendium oder Projekt nach zwei Jahren aus. Angesichts der prekären Bedingungen ihrer zeitlich befristeten Verträge mieteten die meisten Postdocs eine voll möblierte Wohnung, insbesondere bei Auslandsaufenthalten.

So war es auch bei meinem ersten Postdoc-Aufenthalt in Göttingen. Damals mieteten mein Mann und ich eine möblierte Unterkunft im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ). Die hatte meinem Mann das IBZ empfohlen, weil die Universität, an der er als Humboldt-Stipendiat arbeitete, von dort aus fußläufig erreichbar war. So kam es, dass ich eines schönen Frühsommertages im Mai ein elegantes Apartment betrat – mit ergonomisch gestalteten Möbeln, die direkt einem IKEA-Katalog entsprungen zu sein schienen, und voll ausgestatteter Küche inklusive aller Utensilien. Ich war also voller Enthusiasmus, als ich meine Laufbahn als neue Postdoktorandin am antrat, und als frisch Verheiratete kam ich mit einem deutschen Wörterbuch im Reisegepäck, da ich mit meinen Nachbarn und Laborkollegen in der Landessprache kommunizieren wollte.

Das IBZ hatte einen Hausmeister, der selbst auf dem Gelände wohnte. Er war Handwerker und nahm kleine Reparaturen in den Wohnungen oder an den Waschmaschinen im Gemeinschaftsbereich vor. Seine Wohnung verfügte als einzige im IBZ über ein Telefon, und da es damals noch keine Handys und kein Internet gab, konnten alle, die nach Indien oder in ein anderes Land telefonieren wollten, einen Termin mit ihm ausmachen und sein Telefon nutzen. 

Wenn ein Termin zum Rendezvous wird

Eines Nachmittags lief ich zur Hausmeisterwohnung, weil ich einen Termin für ein Telefonat mit meinen Eltern in Indien vereinbaren wollte. Zuvor hatte ich in meinem Deutsch-Wörterbuch nachgeschlagen. Ich klingelte an der Tür und während ich wartete, ging ich im Kopf meine deutschen Formulierungen noch einmal durch. Als der Hausmeister öffnete, sagte ich ganz selbstbewusst meine drei Sätze auf. Ich wollte ihn um ein „appointment“ zum Telefonieren bitten, doch anstelle des korrekten Wortes „Termin“ verwendete ich irrtümlich einen anderen Wörterbucheintrag: „Rendezvous“! Der arme Mann sah mich völlig verdutzt an und stammelte ein hastiges „Ja“. Ich war fest davon überzeugt, dass mein flüssiges Deutsch ihm Ehrfurcht abgenötigt hatte. Später erfuhr ich, was ich falsch gemacht hatte, und von da an mied ich den Hausmeister so gut es ging, wenn ich ihn auf dem Gelände traf.

Auf der Arbeit sorgten meine Versuche, gelernte Wörter oder Wörterbuchfunde praktisch anzuwenden, oft für Heiterkeit unter den deutschen Kollegen. Eines Nachmittags wollte ich Elvie, der technischen Assistentin, die die Laborgeräte unserer Abteilung reinigte, mitteilen, dass ich ihr beim Reinigen helfen würde. Stattdessen rutschte mir heraus, dass ich ihr helfen würde, sich mit meinen Glasgeräten gründlich selbst zu reinigen. Irgendwie hatte ich das Verb, das im Deutschen ans Satzende gehört, an die falsche Stelle gesetzt. Ein anderes Mal feierte eine Kollegin ihre silberne Hochzeit. Ich wollte beweisen, wie gut ich Deutsch kann, und teilte der Ehefrau des Direktors mit, dass sie „schön verkleidet“ sei – es sollte eigentlich ein Kompliment für ihr schönes Kleid werden.

Ein 40 Kilogramm schwerer Vokabeltrainer

Ein Freund, der meine leidenschaftlichen Versuche beobachtete, Deutsch zu lernen und zu sprechen, gab mir den Rat, mir zum Vokabelnlernen einen Fernseher zuzulegen. Also kaufte ich ein 40 Kilogramm schweres Monstrum von TV-Gerät. Es war ein echtes Schnäppchen: Ich zahlte nur 20 D-Mark (rund 10 Euro) dafür. Die Verkäuferin hatte am Telefon irgendetwas in der Art wie „nicht handlich“ erwähnt, aber ich muss wohl das „nicht“ überhört haben. Ich dachte an das englische „handy“ im Sinne von „handlich“ und „nützlich“! Natürlich konnte ich den Fernseher unmöglich allein tragen. Also bat ich zwei meiner Freunde aus der Institutswerkstatt, mir nach der Arbeit zu helfen, ihn in meine Wohnung zu transportieren. Mithilfe dieses Fernsehers und meiner Arbeitskollegen konnte ich bis Ende des Jahres ganz passabel Deutsch sprechen und verstehen. Ich fühlte mich sogar sicher genug, um Witze auf Deutsch zu reißen.

Im Rückblick auf meine zwei Jahre als Postdoktorandin in Göttingen kann ich sagen, dass ich trotz aller sprachlichen Ausrutscher immer weiter Deutsch gelernt und dadurch meinen Freundeskreis nicht nur auf der Arbeit, sondern auch in meiner Nachbarschaft erweitert habe. Ich habe an meinem Wohnort viele interessante Menschen kennengelernt und persönlich wie privat an spannenden Projekten gearbeitet.

Diese Projekte haben zweifelsohne meine Karriereentscheidungen geprägt, und ich denke, wenn ich den konventionelleren Weg gewählt hätte, also ein englischsprachiges Land, hätte ich nicht solche Erfahrungen gesammelt. Ich habe gelernt, Dinge direkt anzusprechen, wenn es die Arbeit oder die Umstände erfordern, ohne um den heißen Brei herumzureden. Ich habe gelernt, wie man durch richtiges Zeit- und Ressourcenmanagement starkem Druck standhalten kann – meistens jedenfalls. Meine Zeit in Göttingen war daher eine der besten Erfahrungen meines Lebens.

Weitere Texte von Aruna Dhathathreyan auf dem Alumniportal


Aruna Dhathathreyan kam Mitte der 1990er Jahre als Gastwissenschaftlerin nach Berlin. Hier lernte sie nicht nur eine Stadt voll spannender Kultur und Menschen kennen – sondern erfuhr auch, wie sehr uns unsere Vorurteile täuschen können.


Deutsche und Inder kommunizieren sehr unterschiedlich – manchmal mit lustigen Ergebnissen. Aruna Dhathathreyan berichtet von ihren Erfahrungen.

Weiterführende Links

Videos

* Pflichtfeld