Wie der Green Deal der EU den Welthandel verändern kann
- 2024-04-05
- Thomas Kölsch
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Die Klimakrise ist die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Verschmutzte oder erodierte Böden, Wasserknappheit und eine Ausbreitung von zuvor nicht heimischen Schädlingen sorgen vor allem in der Landwirtschaft für massive Ertragsverluste. Daher setzt sich die Europäische Union für einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Nutzung der Ressourcen ein, unter anderem mit dem ambitionierten Green Deal, der Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen soll. Das hat auch Auswirkungen auf den globalen Agrar-Handel. Bei einer digitalen haben nun Expertinnen und Experten skizziert, welche Probleme bei der Implementierung des Green Deals in zukünftige Handelsabkommen bestehen – und welches Potenzial er bietet.
Starke Partner in Afrika und Lateinamerika
Einfach mache es sich die EU mit dem Green Deal nicht, betonte Dr. Katja Freistein von der Academy of International Affairs NRW in ihrer Einleitung zu der Online-Veranstaltung. „Ich finde es faszinierend, welch eine Bürde sich die Europäische Union auferlegt“, sagte sie mit Verweis auf die bereits erwähnte Klimaneutralität. Die damit eingenommene Vorreiterrolle sei mutig. Aber sie ist notwendig, und es gibt einige Staaten, die diese Entwicklung begrüßen. So wie Argentinien: „Wir sind führend bei Projekten mit geringer Umweltbelastung und ein wichtiger Partner für die Dekarbonisierung“, betonte dessen Botschafter in Deutschland, Fernando Brun, in einer Video-Botschaft. Daher haben wir uns auch einer neuen Generation an produktiveren und ökologisch nachhaltigeren Maßnahmen verschrieben.“ Selbstbewusste Aussagen, die sich Argentinien aber – ebenso wie die anderen lateinamerikanischen Länder – durchaus leisten kann. Nicht ohne Grund hat Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze im vergangenen Sommer betont, dass globale Probleme wie der Klimawandel ohne diese Staaten nicht in den Griff zu bekommen seien.
Der Europäische Green Deal
Doch auch von den afrikanischen Ländern kann Europa profitieren – ebenso wie umgekehrt. „Obwohl der Grüne Deal in erster Linie eine europäische Politik ist, hat er Ausstrahlungseffekte für Länder im globalen Süden“, erklärt Samuel Weniga Anuga, der derzeit als Stipendiat an der Universität von Ghana zum Übergang seiner Heimat hin zu einer grünen und zirkulären Wirtschaft forscht. Vorher koordinierte er für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die Umsetzung von Klimaschutzprojekten in Westafrika. „Die Partnerschaft zwischen der EU und Afrika im Rahmen des Grünen Deals kann dazu beitragen, Importe umweltfreundlicher zu gestalten, den Bedarf an grüner Energie zu decken und die Umstellung auf erneuerbare Energien in Afrika zu fördern. Das Vertragswerk kann afrikanische Länder dazu motivieren, der Klimaanpassung Vorrang einzuräumen, gefährdete Bevölkerungsgruppen vor Klimagefahren zu schützen und sicherzustellen, dass lokale Gemeinschaften Zugang zu Energie haben.“ Letzteres ließe sich unter anderem sicherstellen, wenn der Green Deal Eingang in zukünftige Handelsabkommen erhielte. „Gleichzeitig muss geklärt werden, wie die entlang der Wertschöpfungskette eingehalten werden können“, so Anuga. „So müssen Zertifizierungs-, Compliance- und Monitoring-Kosten etwa für Kleinbauern thematisiert werden, ebenso wie unzureichende technische Kapazitäten und Ressourcen zur Einhaltung der freiwilligen Nachhaltigkeits-Standards.“
„EU Green Deal als Chance, voneinander zu lernen“
Die von Anuga genannten Herausforderungen sieht auch Dr. Emanuele Ferrari von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission. „Es ist sehr schwierig, in einer typischen Handelsvereinbarung wie einem Freihandelsabkommen andere politische Ziele wie soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu berücksichtigen“, sagte er. „Andererseits können sie sehr mächtige diplomatische Werkzeuge sein, um Entwicklungen im Bereich der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes zu forcieren.“ Die EU nutze dies schon mit einigem Erfolg. „Wichtig ist, dass wir auf diesem Wege nicht etwa versuchen, neue Standards zu definieren, sondern vielmehr bereits existierende miteinander in Einklang zu bringen, sodass Händler und Verbraucher am Ende von einem einheitlichen Rahmenvertrag profitieren, mit dem Kosten reduziert werden und Vertrauen in die entsprechenden Produkte gestärkt wird.“
In den Mittelpunkt der Podiumsdiskussion stellte Moderatorin und DAAD-Alumna Ana Stoddart die sogenannten „non-tariff measures“ (NTM), also Handelsbarrieren abseits der üblichen Zölle. Dazu gehören unter anderem gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, technische Handelshemmnisse, Kontrollen vor dem Versand und andere Formalitäten, handelspolitische Schutzmaßnahmen, Rechte an geistigem Eigentum, Ursprungsregeln und vieles mehr. „Der Agrar- und Ernährungssektor ist von diesen NTM in besonderem Maße betroffen, und in Anbetracht der Senkung der Zölle im Zuge nachfolgender Handelsverhandlungsrunden werden diese zu den wichtigsten handelspolitischen Maßnahmen“, erklärte Emanuele Ferrari von der Europäischen Kommission. Das Problem: „Im Gegensatz zu transparenten und messbaren Zöllen gibt es keine Einigung über Ziel, Erhebung, Quantifizierung und Modellierung von NTM.“ Umso wichtiger sind daher einheitliche Standards. „Das fängt schon bei einer Definition von Nachhaltigkeit an“, betonte Dr. Rene Capote, Senior Technical Expert bei GLOBALG.A.P. (FoodPLUS GmbH), einem Anbieter intelligenter Lösungen zur Qualitätssicherung von landwirtschaftlichen Betrieben. „Wir müssen schlichtweg nach gemeinsamen Blickwinkeln suchen, wenn wir langfristig Erfolg haben wollen. Der Green Deal der EU ist aus meiner Sicht eine hervorragende Gelegenheit, um voneinander zu lernen.“