"Es findet sich immer jemand, der hilft"
- 2021-11-29
- Josefine Janert
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DAAD-Stipendiat Setonji Ogunbiyi kam aus Nigeria ins Ruhrgebiet, um Development Management zu studieren – und um Fußball zu spielen. Der 29-Jährige trainiert mit anderen Fuß-Amputierten bei Fortuna Düsseldorf. Im September 2021 hatte ihn die ARD-Sportschau für das „Tor des Monats“ nominiert. Mit knapp 30 Prozent der Stimmen landete er auf dem zweiten Platz.
Glückwunsch zur Nominierung. Wie haben Ihre Freunde, Ihre Familie reagiert?
Alle haben sich riesig für mich gefreut. Mich haben viele Grüße erreicht, von anderen Sportlerinnen und Sportlern, von Studierenden hier in Bochum und auch von meinen Leuten in Nigeria. Dass ich nominiert war, konnte ich erst einmal kaum glauben. Ich war überwältigt – auch davon, wie die anderen mich unterstützten.
Wie kommt es, dass Sie Amputierten-Fußball spielen?
Als ich drei Jahre alt war, bemerkte meine Mutter, dass mein linkes Bein nicht so schnell wuchs, wie das rechte. Die Ärzte operierten mich mehrmals, wobei sie das Problem leider noch verschlimmerten. Bis heute weiß ich nicht, ob ich an Polio erkrankt war oder an einem Nervenleiden. Als ich sieben Jahre alt war, fing ich trotzdem an, mit meinen Freunden auf der Straße zu kicken. Ich war der Einzige, der dabei Krücken benutzte. Eines Tages schaute ich anderen Sportlern im Nationalstadion in Lagos zu. Überraschenderweise spielten einige von ihnen auch mit Krücken. Ich nahm Kontakt zu ihnen auf. Sie freuten sich, denn sie suchten Verstärkung für ihre Mannschaft.
Sie sind auf dem Fußballfeld sehr schnell unterwegs. Wie haben Sie diese Geschwindigkeit erreicht?
Indem ich mein Denken, meine Bewegungen und die Krücken bestmöglich miteinander koordiniere. Das schaffe ich durch jahrelange Übung, dadurch, dass ich den Ratschlägen meiner Trainier gefolgt bin. In Nigeria habe ich mich beim Training darauf konzentriert, lange und kraftvoll zu spielen. In Deutschland feile ich mehr an meiner Technik. Das hilft mir außerordentlich.
Wie kamen Sie in Kontakt mit Fortuna Düsseldorf?
Im Amputierten-Fußball sind wir wie eine große Familie. Schon seit vielen Jahren bin ich mit deutschen Sportlern über die sozialen Netzwerke verbunden, verfolge, was sie tun. Als ich die Zusage für das DAAD-Stipendium erhielt, schrieb ich an Fortuna Düsseldorf. Sie haben mich sofort zum Training eingeladen – und wenige Tage nach meiner Ankunft im September 2020 fuhr ich das erste Mal hin. Jetzt trainiere ich drei Mal pro Woche allein und alle 14 Tage mit der Mannschaft.
F95-Highlight | Sentoji Ogunbiyi beim "Tor des Monats" nominiert
Wie haben Sie vom DAAD erfahren?
Der Name ist an den Hochschulen in Nigeria bekannt. Ich habe die Aktivitäten des DAAD schon seit langem online verfolgt und mich schließlich beworben. Es ist mein erster Aufenthalt in Europa. Ich dachte, das Wetter sei wie in Afrika – und war überrascht. Erst einmal habe ich mich gefragt, wie ich die Kälte aushalten soll. Sie sind für das Masterstudium Development Management an der Ruhr-Universität Bochum eingeschrieben.
Wie knüpft es an das an, was Sie schon in Nigeria beschäftigt hat?
Zunächst habe ich an der Obafemi Awolowo University Demographie und Statistik studiert. Dabei habe ich mich mit dem Bevölkerungswachstum und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge beschäftigt, in Afrika wichtige Themen. Thema meiner Bachelorarbeit war, wie riskantes Verhalten dazu beiträgt, dass Menschen krank werden oder ungewollt schwanger. Als Mitarbeiter der Delta State University habe ich weiter dazu geforscht und veröffentlicht. Meine Masterarbeit in Bochum wird sich nun mit ähnlichen Fragen auseinandersetzen.
Inwiefern?
Ich komme gerade von einem zweimonatigen Studienaufenthalt in Nigeria zurück. Dort bin ich in die Provinz gereist, habe Mütter befragt, ob sie ihre Kinder gegen Polio impfen lassen. Falls ja – wer oder was hat sie in der Entscheidung bestärkt? Falls nicht – was hält sie davon ab? Dass jemand, der möglicherweise selbst an Polio gelitten hat, mit ihnen darüber gesprochen hat, hat auf viele einen starken Eindruck gemacht. Sie haben meine Krücken gesehen und mir offenbar besonders vertraut. In Afrika grassieren viele Infektionskrankheiten. Es ist deshalb enorm wichtig, Vorbehalte gegen die Impfung zu verstehen.
Sie sind mitten in der Pandemie in Bochum angekommen, leben allein im Studentenwohnheim – mit einer Behinderung. Wie sind Sie mit beidem zurechtgekommen?
Mit Corona brach in Nigeria das Chaos aus; es gab viele Tote. Ich wusste nicht, wie ich an ein Visum kommen sollte. Ich wandte mich an den DAAD, der mir schnell zu einem Termin bei der Botschaft verhalf. Ich sollte eigentlich im Juni 2020 in Bochum mit dem Deutschkurs beginnen, doch es wurde Oktober, bis ich aus dem Flugzeug stieg. Schon vor meiner Abreise hatte ich Kontakt zu anderen Stipendiaten, was sehr hilfreich war. Bis heute habe ich viel Digitalunterricht. Ich komme damit gut zurecht – auch mit der Behinderung an der Uni. Viele Menschen unterstützen mich, auch im Alltag. Wenn ich einkaufen gehe, habe ich wegen der Krücken Schwierigkeiten, den Wagen vorwärtszuschieben. Es hat sich bislang immer jemand gefunden, der mir hilft. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich in Deutschland studieren darf.
Wie können Sie von dem, was Sie jetzt in Deutschland lernen, künftig profitieren?
Nach einem Jahr in Deutschland gehe ich präziser und strukturierter an die Forschung heran. Ich werde in meinem Masterstudium immer wieder dazu angehalten, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Zum Beispiel die Gesundheitsfürsorge. Wenn wir sie noch besser organisieren wollen, müssen wir die Sicht des einzelnen Menschen berücksichtigen, die Sicht der Politik und der Wissenschaft. So können wir gute Resultate erzielen, denke ich.