Volkswirtschaften und ihre Auswirkungen auf das Recht auf Freizügigkeit
- 2022-01-13
- Mario Cornaló
- Kommentieren
Die Weltwirtschaft wird heutzutage vom Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmt. Wirtschaftliche Akteure streben also danach, möglichst niedrige und dennoch faire Preise für Waren und Dienstleistungen zu erzielen. Doch wie schneidet dieses Modell tatsächlich ab, wenn der Faktor Mensch ausgeblendet wird?
Das Modell von Angebot und Nachfrage
Dieses Modell gilt als die gerechteste Methode, in der Welt ein wirtschaftliches Gleichgewicht herzustellen. Gestützt wird es natürlich von den führenden Industriestaaten, die ihren Bürgerinnen und Bürgern einen im Weltmaßstab weit überdurchschnittlichen Lebensstandard bieten, aber zugleich die restriktivsten Zuwanderungsregeln haben. Die übergroße Mehrzahl der Staaten gehört nicht zu dieser Gruppe. In den Entwicklungs- und Schwellenländern herrschen nicht nur in Einzelfällen humanitäre Zustände, die durchaus als moderne Sklaverei betrachtet werden könnten. Daher sind sie in der Lage, auf dem Weltmarkt Produkte zu extrem niedrigen Preisen anzubieten, die eine Wettbewerbsverzerrung darstellen.
Während der internationale Waren- und Dienstleistungsverkehr nahezu ungehindert fließen kann, unterliegt die Mobilität von Menschen zunehmend strengeren Restriktionen. Ihre Möglichkeiten, ihren Lebensmittelpunkt und, mehr noch, ihre Arbeitsbedingungen frei zu wählen, sind stark eingeschränkt.
Dieser internationale Zusammenhang verdeutlicht, dass das von wenigen freien Marktwirtschaften dominierte Modell einer Welt, in der Zuwanderung stark reguliert ist, die globale Ungleichheit fördert und die ohnehin bereits große Kluft zwischen Armen und Reichen, Starken und Schwachen immer größer werden lässt.
Die ökonomische Crux
Der Lebensstandard in den entwickelten Staaten hebt sich deutlich von den Lebensbedingungen der großen Mehrheit der Menschen ab. Laut Definition des Internationalen Währungsfonds (IWF) zählt die entwickelte Welt etwas mehr als 1,3 Milliarden Bewohnerinnen und Bewohner, was nur rund 15 Prozent der Weltbevölkerung entspricht.
gibt Aufschluss über die täglichen, mittel- und langfristigen Lebensumstände aus rein ökonomischer Perspektive. Je nach der zugrunde gelegten Quelle – IWF, Vereinte Nationen oder Weltbank – variieren die Zahlen geringfügig, doch für die Zwecke dieses Artikels reichen diese Schätzungen vollkommen aus.
Auf dieser Grundlage ist ein Zahlenvergleich leicht gemacht: Nordamerika, Europa, Ozeanien und Japan erzielen jährlich ein durchschnittliches BIP pro Kopf von rund 37.000 US-Dollar, die restliche Welt kommt lediglich auf 6.500 US-Dollar.
Auch wenn sich die Lebenshaltungskosten regional unterscheiden, dürfte klar sein, dass man mit einem gemittelten Jahreseinkommen von 6.500 US-Dollar (rund 5.500 Euro), wie es in den in der Karte gelb und rot schattierten Ländern üblich ist, nicht selbstbestimmt leben kann. Dinge, die in entwickelten Staaten als selbstverständlich gelten, wie ein Auslandsurlaub einmal im Jahr, sind für die meisten Menschen auf der Welt unvorstellbar.
Warum leben Menschen weiterhin unter unfairen Bedingungen?
Die einfache Antwort auf diese Frage lautet: Die meisten Menschen können sich die Realität, in der sie leben, schlicht nicht aussuchen. Sie leben in einer Welt strenger Visabestimmungen: Wer legal in ein anderes Land reisen oder ziehen möchte, muss bei den Behörden des Ziellandes eine Genehmigung beantragen.
Die Kriterien, nach denen Visa vergeben werden, verschärfen die sozialen Gegensätze in den Entwicklungs- und Schwellenländern weiter, da es die Zielländer nur auf gut ausgebildete Fachkräfte abgesehen haben. Sie werben der Dritten Welt gezielt die klügsten Köpfe ab, indem sie ihnen die Einreise in die Erste Welt gestatten. Auf der Kehrseite schmälert dies die Chancen ungelernter, aus Sicht der Industriestaaten nicht benötigter Arbeitskräfte, die aber dringend eine Perspektive bräuchten.
Die Ungleichheit im Bereich der Mobilität hat mittlerweile ein ungeahntes Ausmaß angenommen: Diejenigen, die am dringendsten Migrationsmöglichkeiten benötigen, haben am wenigsten Zugang dazu.
Als Beispiel lässt sich die aktuelle Lage in Afghanistan heranziehen. Tagtäglich erreichen uns Nachrichten darüber, dass immer mehr Afghaninnen und Afghanen ihren ärmlichen Lebensverhältnissen zu entfliehen versuchen. Humanitäre Hilfe erreicht zwar einige Tausend Menschen, aber ein afghanischer Reisepass rangiert derzeit ganz am Ende des . Er ist somit das am wenigsten wertvolle Reisedokument der Welt. Menschen aus Afghanistan können also nicht einfach in ein anderes Land reisen, geschweige denn dauerhaft dort leben und eine Anstellung finden. Ihnen bleibt als einzige Alternative, Asyl zu beantragen, doch solche humanitären Visa sind sehr streng reglementiert.
Wie gerecht ist es, dass Menschen, die zufällig auf afghanischem Boden geboren wurden, in ihrer Freizügigkeit stärker eingeschränkt sind als Menschen mit einem EU-Pass?
Abschließende Gedanken
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als es noch nicht überall Visa und Arbeitsgenehmigungen gab und die Migration weniger bürokratisch geregelt war, hatten Menschen mehr Freiheiten in der Wahl ihres Wohnortes. Damals verzeichnete Europa die höchste historisch belegte Zahl freiwilliger Auswanderer.
Es sei daran erinnert, dass die großen, wirtschaftlich erfolgreichen Nationen der heutigen Zeit mit ihrer vielfältigen Bevölkerung unter eben diesen internationalen Rahmenbedingungen entstanden. Immigration bereichert unsere Gesellschaften und trägt so entscheidend dazu bei, sie vor Extremismus, Rassismus und Diskriminierung zu schützen. Vielleicht ist es nun an der Zeit für uns alle, auch die Immigration zu schützen.
Beiträge externer Autorinnen und Autoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder