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Der Einfluss von Migration auf die deutsche Sprache

Zwei Sprechblasen, die aus vielen Menschen bestehen
© Getty Images/MicroStockHub

Bereicherung oder Verfall? Wie sich die deutsche Sprache durch Migration verändert

Migration verändert nicht nur das Bild vieler Orte und Städte in Deutschland, sie hinterlässt ihre Spuren auch in der deutschen Kultur und vor allem in der deutschen Sprache. Welche konkreten Auswirkungen hat das? Nimmt die deutsche Sprache dadurch Schaden oder wird sie vielleicht sogar bereichert?

Migration beeinflusst das Deutsche vor allem in der Umgangssprache. Die Sprache wird vereinfacht und die Diskrepanz zwischen Umgangssprache und Schriftsprache wird immer größer. Gleichzeitig wächst der deutsche Wortschatz und umfasst inzwischen 5,3 Millionen Wörter – Tendenz steigend!

Sprache ist dynamisch, sie passt sich laufend unserer Lebenswirklichkeit an. Zum Beispiel schlagen wir heute nicht mehr nach, wenn wir etwas nicht wissen, sondern wir googeln.

Sprache ist durchlässig, sie nimmt Wörter und Strukturen von anderen Sprachen auf. Zum Beispiel bereichert der türkische nicht nur seit Jahren unsere Speisekarten, sondern auch unseren Wortschatz: Im Duden gibt es dazu einen eigenen Eintrag samt . Doch es kommen nicht nur neue Begriffe hinzu, sondern auch falsche Formulierungen: Längst haben wir die englische Redewendung „Das macht keinen Sinn“ statt „Das hat keinen Sinn“ übernommen, obwohl Letzteres grammatisch richtig ist.

Aber wie sehr verändert sich die deutsche Sprache tatsächlich durch fremde Sprachen, die Migranten mitbringen?

Migrantensprache nicht nur in Deutschland

„Lass ma’ chillen, Julia.“ oder „Gib zwei Euro. Ich muss Guthaben kaufen.“ – das sind Zitate aus dem Film „Fack ju Göhte“, der 2013 in die Kinos kam. Sie sind ein Ausdruck von Kiezdeutsch, das seit den 1990er Jahren vor allem als Jugendsprache beobachtet wird. Kiezdeutsch ist längst zum Teil wissenschaftlicher Forschung geworden – hieran kann man nämlich erkennen, welchen Einfluss Migration auf unsere Sprache hat.

Per Definition ist „das Besondere an , dass sich diese Jugendsprache im Kontakt unterschiedlicher Sprachen (und Kulturen) entwickelt hat, und zwar in urbanen Wohngebieten, wie z. B. Berlin-Kreuzberg, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Herkunftssprachen zusammenleben. (…) Ähnliche Jugendsprachen gibt es auch in anderen europäischen Ländern, etwa in den Niederlanden, in Dänemark und in Schweden. Kiezdeutsch ist also kein isoliertes deutsches Phänomen.“

Alles, was Sprache kompliziert macht, wird weggelassen

Überall, wo mindestens zwei Sprachgruppen aufeinander treffen, ist der Trend zur Vereinfachung zu beobachten. Alles, was die Sprache unnötig kompliziert macht, wird weggelassen. Der Autor und Journalist Dieter E. Zimmer nennt in seinem Buch „So kommt der Mensch zur Sprache“ das Beispiel von russischen Kaufleuten und norwegischen Fischern, die Handel trieben. Sie verständigten sich in einer stark vereinfachten Variante des Russischen, die ohne die vielen auskam und Verben lediglich durch eine kennzeichnete.

„Wenn Mehrsprachigkeit dominiert, wird alles beseitigt, was man für die Verständigung nicht braucht. Komplizierte Grammatik wird daher abgebaut und die Strukturen vereinfachen sich – übrigens nicht nur im Deutschen, sondern auch in der Muttersprache der Migranten“, sagt auch der Sprachwissenschaftler Uwe Hinrichs in einem Interview mit dem Goethe-Institut. Er forscht seit Jahren zum Einfluss von Migrantensprachen auf das Deutsche und veröffentlichte 2013 seine Ergebnisse dazu im Buch „Multi Kulti Deutsch. Wie Migration die deutsche Sprache verändert“.

Nach Hinrichs Beobachtungen bilden sich vor allem die langsam zurück. „Die Kasus werden verwechselt – beispielsweise ‚ich verspreche es ihn‘ anstelle von ‚ich verspreche es ihm‘. Häufig würden die Endungen gleich ganz weggelassen wie in ‚das Haus von mein Vater‘ anstatt ‚das Haus von meinem Vater‘. „Dadurch wird auch der innere Zusammenhang im Satz gelockert und viel sprachliche ‚Energie‘ eingespart“, sagt Hinrichs. „Die kann man woanders, zum Beispiel für die Bildung neuer Wörter, einsetzen.“

Durch Vereinfachung der Grammatik wird also die Verständigung unter Sprechern verschiedener Muttersprachen erleichtert. Hier steht nicht die Korrektheit der Sprache, sondern ihre Funktion – die Kommunikation – im Mittelpunkt.

Auch das Durchschnittsdeutsch ist selten korrekt

Uwe Hinrichs sieht neben der Veränderung der deutschen Sprache durch Migranten noch zwei andere Tendenzen. Er beobachtet auch bei deutschen Muttersprachlern oft grammatikalische Fehler – diese entstehen durch ein sinkendes Leseniveau und ein spezielles Sozialmilieu. Außerdem weist er auf die deutschen Dialekte hin, die sich in Großstädten zusätzlich hineinmischen (Berlinerisch: „Ick nehm dir in‘n Arm!“). Im Gegensatz dazu verändere sich die Sprache der Migranten aber über Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit. „Wichtig ist, diese drei Entwicklungen im Deutschen auseinander zu halten“, sagt Hinrichs.

Nach seiner Einschätzung wird der mündliche Sprachgebrauch des Deutschen in Zukunft von der schriftlichen Grammatik stark abweichen. Jemand, der in 30 Jahren Deutsch lernt, wird demnach in der Praxis bemerken, dass viele „Fehler“ nicht als Fehler wahrgenommen oder gar korrigiert werden. „Vor allem aber wird er sich gewiss nicht mehr mit so vielen Kasus herumärgern.“

Weiterführende Links

Buchtipps

Uwe Hinrichs

  • Multi Kulti Deutsch. Wie Migration die deutsche Sprache verändert. C. H. Beck 2013

Dieter E. Zimmer

  • So kommt der Mensch zur Sprache. Heyne 2008 (neueste Auflage)
  • Die Wortlupe. Beobachtungen am Deutsch der Gegenwart. Hoffmann und Campe 2006

Zum Schmunzeln: Philipp Möller

  • Isch hab Geisterblitz: Neue Wortschätze vom Schulhof. Bastei Lübbe 2015
  • Isch geh Schulhof. Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers. Bastei Lübbe 2012

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