Deutschland hat gewählt, und nun?
- 2022-02-18
- Miriam Hoffmeyer
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Unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ will die neue Regierungskoalition aus Sozialdemokraten (SPD), Liberalen (FDP) und Grünen Deutschland grundlegend modernisieren. Vier Abgeordnete des neuen Deutschen Bundestags haben interessierten DAAD-Alumni ihre Ziele und Visionen für die nächste Legislaturperiode geschildert und Fragen beantwortetet. An der Online-Diskussion am 20. Januar nahmen Alumni aus 23 Ländern teil. Die Veranstaltung wurde von Vertreter:innen der DAAD-Alumnivereine der USA und Italiens, Prof. Dr. Rosmarie Morewegde und Prof. Dr. Sandro Moraldo, gemeinsam organisiert und moderiert.
„Die Klimakrise erlaubt uns keine großen Verzögerungen“, sagte Dr. Franziska Brantner von den Grünen, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Die große Aufgabe der neuen Regierung sei es, „die sozial-ökologische Wirtschaft in Deutschland, aber auch in Europa und international“ voranzubringen. Um die Herausforderungen durch den Klimawandel, die Corona-Pandemie und neue Technologien zu bewältigen, sei eine enge internationale Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft notwendig, betonte Brantner, die 2004 ein DAAD-gefördertes Praktikum bei den Vereinten Nationen in New York absolviert hat.
Ökologische Standards über Lieferketten hinweg
Die SPD-Abgeordnete Dr. Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), nannte zwei Kernanliegen für die nächste Legislaturperiode: Zum einen müsse die Umstellung auf erneuerbare Energien so gestaltet werden, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen nicht zu stark belastet würden. Zum anderen will sich die Außen- und Menschenrechtspolitikerin international für Menschenrechte und für soziale und ökologische Standards über die gesamte Lieferkette hinweg einsetzen. Von 1999 bis 2001 war Kofler als DAAD-Lektorin in Moskau tätig.
Die Idee, nach der Bundestagswahl eine Online-Diskussion mit Abgeordneten zu veranstalten, war beim weltweiten DAAD-Alumnitreffen im Juni vergangenen Jahres entstanden. Damals galt ein Machtwechsel in Deutschland noch als eher unwahrscheinlich. Den reibungslosen Ablauf in gegenseitigem Respekt hob Rosmarie Morewedge vom Alumniverein der USA besonders hervor: Die „Krönung“ des Regierungswechsels sei aus ihrer Sicht, dass die konservativen Parteien CDU und CSU, die nach 16 Jahren Regierungszeit in die Opposition wechseln mussten, den demokratischen Prozess weiterhin mitgestalten wollten, anstatt sich wie die Wahlverlierer in den USA abzuspalten.
Energiewende: Deutschland will Vorbild sein
Diesen konstruktiv-kritischen Ansatz machte der CDU-Abgeordnete Jürgen Hardt deutlich: Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekannte sich zwar zu den Klimazielen der neuen Regierung, zeigte sich aber skeptisch hinsichtlich des Zeitplans, da die aktuellen Spannungen mit Russland die Energiewende deutlich verzögern könnten. Russland sei der wichtigste Lieferant von Erdgas, das als Übergangstechnologie gebraucht werde. Auf die Alumni-Frage, wie Deutschland nach der Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke Ende des Jahres auch den bis 2030 geplanten Ausstieg aus der Kohlekraft bewältigen könne, erwähnte Jürgen Hardt neue Kernkraft-Technologien.
Die drei Abgeordneten der Regierungsparteien bekräftigten dagegen ihre Ablehnung der Kernkraft. Franziska Brantner wies dabei auch auf sicherheitspolitische Risiken hin. Schließlich wolle Deutschland bei der Umstellung auf erneuerbare Energien eine Vorbildfunktion einnehmen: „Wir haben entschieden, staatliche Fördergelder in die Technologien zu investieren, die in die ganze Welt exportierbar sind.“ Der Entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Christoph Hoffmann, sprach von einer „Riesenchance für die Entwicklungspolitik“ durch die Energiewende. Viele Entwicklungsländer könnten mittelfristig zu Lieferanten von erneuerbaren Energien werden. „Eine Win-win-Situation für die Staaten im Sonnengürtel der Erde“, sagte Hoffmann, der in den 1990-er Jahren als DAAD-Stipendiat an der Universität Berkeley studiert hat.
In der außenpolitischen Diskussion sprachen sich alle Abgeordneten dafür aus, die europäische Integration weiter voranzubringen. In den Beziehungen zu China müssten Menschenrechtsfragen künftig eine deutlich größere Rolle spielen, erklärten Bärbel Kofler und Franziska Brantner. Christoph Hoffmann und Jürgen Hardt forderten eine gemeinsame Geostrategie der EU gegenüber China. Über einen möglichen russischen Angriff auf die Ukraine zeigten sich alle Abgeordneten äußerst besorgt. Ein Krieg müsse mit diplomatischen Mitteln unbedingt verhindert werden.
Wissenschaft: Mehr gesellschaftliche Aufklärung
Die letzte Alumni-Frage machte die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit auch in Teilen der deutschen Gesellschaft zum Thema. Die Abgeordneten betonten in ihren Antworten einmütig die Bedeutung der Wissenschaft für die Politik. Zugleich plädierten sie für mehr gesellschaftliche Aufklärung über wissenschaftliche Erkenntnisprozesse.
Nach zwei Stunden musste die Diskussion aus Zeitgründen beendet werden. Das große Interesse daran, so Moderator Sandro Moraldo, sei eine „Ermutigung“ zu weiteren internationalen Alumni-Veranstaltungen.