Innovationen in Deutschland: Viele Stärken und doch noch Luft nach oben
- 2022-08-15
- Thomas Kölsch
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Eigentlich ist Deutschland ein klassisches Innovationsland. Nicht ohne Grund gilt das Label „Made in Germany“ in manchen Wirtschaftszweigen auch heute noch als Gütesiegel, das für eine beständige und dem aktuellen Wissensstand angepasste Technologie und Qualität steht. Dazu gesellt sich ein im internationalen Vergleich sehr starkes Wissenschaftssystem, das in vielen Fachbereichen in der Weltspitze mitspielt: Vier Nobelpreise in Chemie, ebenso viele in Physik und zwei in Physiologie oder Medizin allein in den vergangenen 20 Jahren sprechen eine deutliche Sprache. Andererseits sind global gesehen derzeit viele Länder auf der Überholspur, vor allem im Bereich der digitalen Entwicklung kommt die Bundesrepublik trotz all ihrer Stärken nicht hinterher. Das kann, muss und soll sich ändern, betonen Expert:innen und Regierungsvertreter:innen gleichermaßen – und zeigen sich für die Zukunft durchaus optimistisch.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: Obwohl Deutschland im Innovationsindikator 2020 des BDI hinter der Schweiz, Singapur und Belgien auf einem exzellenten vierten Platz der innovativsten Volkswirtschaften kommt, warnte der damalige Verbandspräsident Dieter Kempf vor einer Abwärtsbewegung in vielen wichtigen Bereichen und mahnte, dass man „den Anschluss verlieren könne“. Steht es wirklich so schlimm um die Bundesrepublik? Nicht ganz so kritisch sehen es Professor Jakob Edler und Dr. Rainer Frietsch vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), das unter anderem an besagtem Dokument beteiligt war.
„Wissenstransfer findet auf hohem Niveau statt“
„In Deutschland gibt es ein in seinen Teilsystemen gut abgestimmtes und in seiner Arbeitsteilung gut funktionierendes Innovationssystem“, sagen sie. „Die Wirtschaft ist sehr innovationsorientiert, gepaart mit einer Qualitätsstrategie und hoher Investitionsbereitschaft. Auch der Austausch zwischen den Teilsystemen sowie der Transfer von Wissen findet auf hohem Niveau statt.“ Dennoch gäbe es auch Schwächen zu benennen: „Eine gewisse Risikoaversion, die den Deutschen insgesamt in Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft attestiert wird, führt dazu, dass die Investitionen eher in klassischen Bereichen stattfinden“, betonen die beiden Experten. „Die Anpassung an neue technologische Herausforderungen ebenso wie die Veränderung des Wettbewerbs durch neue Mitbewerber werden bisweilen zu spät adaptiert, die Erkenntnisse aus der Wissenschaft finden zu wenig Niederschlag in neuen Produkten und Geschäftsmodellen.“ Dies sei allerdings weniger auf ein Transfer- als vielmehr auf ein Kommerzialisierungsproblem zurückzuführen.
„Die Schlussfolgerung aus dem Innovationsindikator 2020 beruhte in erster Linie darauf, dass die neuen und zukunftsträchtigen Themen nicht mit der gleichen Dynamik angegangen wurden, wie sie sich weltweit gezeigt hat“, führt Frietsch aus. „Das muss nicht bedeuten, dass wir deswegen weniger erfolgreich sind beziehungsweise unser Wohlstand in Gefahr gerät. Aber wir sind nicht mehr ein Leitmarkt, wie das vor rund 15 Jahren noch in vielen Bereichen der Fall war. Es gibt eine immer größere internationale Konkurrenz bei gleichzeitig verkürzten Technologiezyklen. Wir müssen diesen verschärften Wettbewerb annehmen und uns darauf einstellen – es wird nie mehr so sein, dass er sich auf uns einstellt.“
Bundesregierung arbeitet an neuer Start-up-Strategie
Das hat auch die Bundesregierung erkannt. „Wir können uns nicht auf unseren bisherigen Erfolgen ausruhen, sondern müssen verstärkt junge und agile Firmen fördern und dafür auch die ein oder andere Fessel lösen“, erklärt Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt und Beauftragte für die Digitale Wirtschaft und Start-ups im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). „Dazu gehört, dass wir einige Prozesse entbürokratisieren müssen, die zum Beispiel derzeit noch Ausgründungen aus Universitäten und Hochschulen heraus vergleichsweise schwierig machen. Aber auch vereinfachte Visa-Verfahren und eine allgemeine Verbesserung der Infrastruktur an den Hochschulen stehen auf unserer Agenda. So planen wir unter anderem eine Exzellenzinitiative für Gründungszentren.“ Außerdem setze man sich dafür ein, die nationalen Gründer-Programme wie EXIST oder den Hightech-Gründerfonds um Programme auf europäischer Ebene zu ergänzen.
Tatsächlich lobt ISI das breite Angebot an Förderprogrammen für Gründungen. „Im internationalen Vergleich stehen wir ziemlich gut da“, betont Dr. Marianne Kulicke, die sich vor allem mit staatlichen Unterstützungsmaßnahmen für junge Technologieunternehmen beschäftigt. „Hervorzuheben ist, dass bei uns die finanzielle Unterstützung schon in der Phase der Gründungsvorbereitung ansetzt und nicht erst danach. Wissensintensive, innovative Vorhaben, die keine umfangreichen Entwicklungsarbeiten mehr benötigen, können auf Bundes- und Länderangebote zurückgreifen. Die Bewilligungswahrscheinlichkeit ist dort relativ hoch. Schwieriger ist es dagegen, wenn noch umfangreiche Entwicklungsarbeiten bis zur Marktreife ausstehen.“
Eine neue, in der Ressortabstimmung befindliche Start-up-Strategie der Bundesregierung könne die Situation sogar noch weiter verbessern, insbesondere für Projekte im Bereich des Social Entrepreneurships, dem ein besonderer Stellenwert eingeräumt werde. „Allerdings sollte man nicht nur auf die öffentliche Förderung schauen: Es gibt in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl an Business Angels, Frühphasenfinanziers, Akzeleratoren und Inkubatorprogrammen, die gerade ein großes Interesse an innovativen Ideen haben, die im Zuge des digitalen Wandels oder durch die Herausforderungen des Klimawandels entstanden sind“, betont Kulicke. „2021 sind dabei 17,4 Milliarden Euro an Venture Capital in Start-ups geflossen.“
Fünf bis acht Jahre bis zum Erfolg
Die notwendigen Kontakte erfolgen dabei häufig über die mehr als 350 Gründerzentren in Deutschland, die bislang fast 50.000 Unternehmen zum Erfolg geführt haben. „Derzeit sind vor allem Life-sciences und KI starke Themen, aber letztlich hat jede gute Idee eine Chance“, sagt Andrea Glaser, Geschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Innovations-, Technologie- und Gründerzentren (BVIZ). „Daran hat auch die Corona-Pandemie nichts geändert – ganz im Gegenteil blieb das Gründungsgeschehen weitgehend stabil und stieg stellenweise sogar.“
Möglicherweise hat auch die Home-Office-Regelung dazu beigetragen, dass Menschen sich vermehrt mit ihren eigenen Ideen auseinandergesetzt haben. „Viele Start-ups entstehen durch Leute, die schon länger in einem bestimmten Bereich arbeiten und ein neues Produkt oder Dienstleistung platzieren möchten, in ihrem bisherigen Arbeitsumfeld dafür aber keine Perspektive sehen“, so Glaser. „Daneben kommen viele Innovationen natürlich aus dem akademischen Umfeld, was in Deutschland eigentlich sehr gut funktioniert. Zahlreiche Hochschulen haben inzwischen ihre eigenen Inkubatoren, die allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt auf dem Weg zum eigenen Unternehmen Unterstützung gewähren können. Danach übernehmen dann oft unsere Verbandsmitglieder, die Innovations- und Gründerzentren mit ihren umfangreichen Netzwerken.“