Mut zur Vielfalt
- 2023-12-07
- Klaus Lüber
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Am 14. November begrüßte der 400 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus dem Großraum Berlin mit einer Willkommensfeier an der Universität Potsdam. Mit auf dem Programm stand eine Podiumsdiskussion zum Thema Diversität und Chancengleichheit in der Wissenschaft.
Es ist noch gar nicht lange her, da hätte Shelby Smith es sich nicht träumen lassen, einmal im Ausland zu studieren. Ging es nach ihren Eltern, sollte die junge US-Amerikanerin vor allem schnell einen Abschluss machen. Während ihrer Highschool-Zeit arbeitete sie bereits Vollzeit, den Abschluss machte sie 2021 trotzdem, abends, im Homeschooling. Und als erste in ihrer Familie. Dann startete sie ein Studium an der Murray State University und hörte dort zum ersten Mal vom Gilman-Programm des DAAD. Dieses richtet sich speziell an Studierende wie sie – Erstakademikerinnen und -akademiker mit einer eher ungewöhnlichen Bildungsbiografie. Smith bewarb sich erfolgreich und bekam schließlich die Gelegenheit, an die Universität Regensburg zu wechseln.
Zwei Jahre später sitzt Shelby Smith auf dem Podium eines randvoll gefüllten Hörsaals der Universität Potsdam und berichtet DAAD-Stipendiatinnen und -Stipendiaten aus aller Welt von ihren Erfahrungen. Über 400 Geförderte aus fast 50 Förderprogrammen hatte der DAAD am 14. November zu einer Willkommensfeier eingeladen – vor allem mit dem Ziel, sich untereinander kennenzulernen und zu vernetzen, wie DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks in seinem Grußwort zur Veranstaltung betonte. Aber auch, um die Gelegenheit zu nutzen, ein Thema zu adressieren, das dem DAAD besonders am Herzen liegt: Diversität und Chancengleichheit in der Wissenschaft. „Ich dachte nicht, dass ich das schaffen kann“, erinnert sich Smith an ihre Bewerbung für das Stipendium. „Aber als ich verstand, dass die Förderung sich ausdrücklich an Studierende wie mich richtet, habe ich Mut bekommen. Ich denke, es ist sehr wichtig, auf diese Weise Vielfalt und Chancengerechtigkeit zu fördern.“
Familiäre Hintergründe berücksichtigen
Dass Diversität eben viel mehr bedeutet, als möglichst viele Menschen unterschiedlicher Herkunft zu unterstützen, darauf wies Dr. Kai Sicks hin, der zusammen mit Kumar Ashish, Sprecher des Bundesverbands ausländischer Studierender, Dr. Juliane Stude, Leitung des Forschungsbereichs „Teaching Diversity – Diversity in Teaching“ der Universität Münster und Shelby Smith an der Podiumsdiskussion teilnahm, die von Dr. Michael Harms, stellvertretender Generalsekretär des DAAD, moderiert wurde. „Es geht eben auch darum, Menschen mit unterschiedlichen familiären Hintergründen und Voraussetzungen anzusprechen“, so der DAAD-Generalsekretär. Genau daran habe man im DAAD in letzter Zeit intensiv gearbeitet, etwa durch die Ausarbeitung einer eigenen Diversitätsstrategie. Diese beinhaltet unter anderem die Sensibilisierung von Auswahlkommissionen für die Gründe nicht-geradliniger Bildungsbiografien. „Wir haben uns die Frage gestellt: Schöpfen wir das Potenzial junger Menschen in unserer Förderung wirklich voll aus? Oder verengen wir hier bisweilen die Perspektive?“, so Sicks.
Ähnliche Fragen stellen sich auch die Hochschulen und reagieren entsprechend. Ihre eigene Universität, die Universität Münster, habe sich bewusst für eine aktive Diversitätspolitik entschieden, die von allen Organisationsstrukturen gemeinsam getragen wird, berichtete Juliane Stude. Dass solche Veränderungen, wie sie auch an anderen Universitäten inzwischen angestoßen wurden, durchaus Wirkung zeigen, belegte eine Mentimeter-Umfrage unter den anwesenden Stipendiatinnen und Stipendiaten. Auf die Frage, wie divers sie ihre deutsche Gast-Hochschule im Vergleich zu ihrem Heimatland empfinden, gaben immerhin über die Hälfte an, die deutsche Universität als diverser wahrzunehmen.
Diskursräume öffnen
Dennoch bleibe es nach wie vor eine Herausforderung, über bloße Mission Statements hinaus echte Probleme wie Rassismus oder Diskriminierung effektiv anzugehen, so Stude. Dass hier nach wie vor viel im Argen liegt, betonte auch Kumar Ashish, der in seiner Funktion als Sprecher des Bundesverbands ausländischer Studierender sehr genau verfolgt, wie divers und chancengerecht das deutsche Wissenschaftssystem von außen wahrgenommen wird. „Ich spreche oft mit Angehörigen der LGBTQ+ Community, die an deutsche Universitäten kommen, weil sie sich dort ein diverseres Klima erhoffen. Und dann von der Realität enttäuscht werden“, so Ashish. „Es gibt definitiv noch viel zu tun.“
Für ihr Projekt „Teaching Diversity – Diversity in Teaching“ bringt Juliane Stude deutsche und indonesische Lehramtsstudierende zusammen, um gemeinsam diverse Lehr- und Lernkulturen in den Blick zu nehmen. „Entscheidend dabei war es, sich erst einmal über unser jeweiliges Verständnis von Diversität klar zu werden, bevor wir an die praktische Umsetzung von Chancengleichheit gehen. Es geht darum, bestimmte Tabus zu identifizieren und ehrlich zu adressieren. Und im nächsten Schritt einen Diskursraum zu eröffnen, der es möglich macht, diese extrem konfliktträchtigen Aspekte konstruktiv zu verhandeln“, berichtete Stude im Rahmen der Podiumsdiskussion. „Man muss sehr aufpassen, nicht einfach beim Satz ‚Vielfalt ist wichtig und gut‘ zu landen, ohne wirklich einen Schritt weiterzugehen. Es ist essenziell, dass man sich die Zeit und den Raum nimmt, Herausforderungen im Bereich der Diversität dialogisch zu verhandeln.“
Sprachbarrieren abbauen
Dies nimmt auch der DAAD in seinem Förderhandeln durchaus ernst, wie Kai Sicks berichtete. Mehrere aktuelle Programme adressierten Studierende, die in ihren Heimatländern aus weltanschaulichen, politischen oder religiösen Gründen oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht zum Studium zugelassen werden. „Gleichzeitig versuchen wir, Dialogformate zu schaffen, in denen unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch kommen und sich zu unterschiedlichen Themen austauschen können. Es geht darum, der diskursiven Verhärtung, die wir gerade überall in der Gesellschaft beobachten, etwas entgegenzusetzen.“
Am Ende hatten sowohl Shelby Smith als auch Kumar Ashish einige Anregung aus Sicht ausländischer Studierender. Die größte Herausforderung aus Sicht von Ashish ist nach wie vor die Sprachbarriere. „Die deutschen Universitäten müssen noch viel internationaler werden, wenn es darum geht, ausländischen Studierenden die Integration zu erleichtern. Natürlich ist es gut und richtig, Deutsch zu lernen. Aber es sollte keine Voraussetzung sein, um zum Beispiel Verwaltungsangelegenheiten meistern zu können.“ Smith findet es wichtig, gerade Studierende aus herausfordernden Kontexten wie sie selbst – mit sehr wenig kultureller Kompetenz und kaum Auslandserfahrung – vor Ort noch besser zu betreuen. „Für mich war die erste Zeit in Regensburg ein echter Kulturschock. Ich hätte mir gewünscht, noch mehr Unterstützung in dieser schwierigen Anfangsphase zu bekommen.“