„Jetzt ist der Moment, das Blatt zu wenden“
- 2023-03-09
- Bettina Mittelstraß
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Halbzeit für die Umsetzung der Agenda 2030: Wie es um die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung steht und welchen Einfluss Krisen wie die Corona-Pandemie oder der Ukrainekrieg nehmen.
Sie ist der Fahrplan für eine bessere Zukunft – die Agenda 2030. Im Jahr 2015 haben sich die Vereinten Nationen auf 17 globale Ziele verständigt – darunter das Ende von Armut und von Korruption, die Sicherung von Ernährung und zugleich der Schutz des Klimas, hochwertige Bildung für alle, Gleichstellung, sauberes Wasser oder bezahlbare Energie. 15 Jahre Zeit hat sich die Weltgemeinschaft für die Umsetzung aller Ziele genommen – das Jahr 2023 markiert nun die Halbzeit. Wie steht es aktuell um die Ziele und ihre Umsetzung?
Weltweite Krisen mit gravierenden Folgen
„Wir befinden uns aktuell in einer sehr zweideutigen Situation – mit einer zugleich negativen und positiven Seite“, sagt Marina Ponti, Direktorin der Aktionskampagne der Vereinten Nationen für die Ziele für nachhaltige Entwicklung (UN SDG Action Campaign) mit Sitz in Bonn. Positiv bewertet Ponti, dass es Raum für einen Durchbruch auf dem Weg zu den SDGs gebe, obwohl die weltweiten Krisen seit 2020 – die Corona-Pandemie, die spürbaren Umweltveränderungen durch den Klimawandel und der Krieg in der Ukraine – sich sehr negativ auf die soziale und wirtschaftliche Lage von Milliarden von Menschen ausgewirkt haben. Letzteres bestätigte Ende 2022 der Index zur menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI), den das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) seit 32 Jahren berechnet. In den vergangenen zwei Jahren sank der Index erstmals wieder auf ein Niveau von 2016.
„Der jüngste Bericht des United Nations Development Programmes (UNDP) ist in allen Bereichen alarmierend und ein herber Rückschlag für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung“, sagt Ponti. „Aber auf der anderen Seite haben wir angesichts dieser Herausforderungen festgestellt, dass ein im menschlichen Verhalten sehr schnell möglich ist! Und diese Botschaft trägt.“
Die Corona-Pandemie veränderte zum Beispiel Ernährungsgewohnheiten, Kommunikation und die Art und Weise zu reisen oder zu arbeiten. Vor der Pandemie habe man Veränderungen in so einschneidendem Maß nicht für möglich gehalten. Das sei nun anders, sagt Ponti. Auch die Energiekrise infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine habe nachhaltige Seiteneffekte, die sich auch positiv auf die globale Bewegung zur Verwirklichung der SDGs auswirkten. „In den Industrienationen gewöhnen sich Menschen beispielsweise an niedrigere Temperaturen in Räumen und überlegen sich öfters, den öffentlichen Nahverkehr statt ein Auto zu nutzen.“ Für Marina Ponti steht damit fest: „Dunkle Zeiten stärken auch die Widerstandskraft und fördern angesichts der großen Probleme neue Lösungen zutage.“
#FlipTheScript-Kampagne (auf Englisch)
„Flip the script“ – ein Wandel ist möglich
Aus dem Gelernten muss nun Handeln folgen – und zwar überall auf der Welt. Denn am Bewusstsein für die Dringlichkeit des Handels und einer Vision für eine bessere Zukunft mangele es nicht, auch nicht an den Möglichkeiten zur Umsetzung. Die nötigen Technologien, Ressourcen und Kapazitäten seien vorhanden, sagt Ponti. „Es kommt nun jenseits der politischen Willensbekundungen auf die Privatwirtschaft an, die ihre Wirtschaftsweise ändern muss, aber auch auf die Individuen und ihre Lebensweise und ihr Konsumverhalten“, sagt Marina Ponti.
Den Durchbruch auf dem Weg zur Umsetzung der SDGs hält Marina Ponti im für möglich – vor allem dank der UN-Aktionskampagne, die sie leitet, einer Initiative des UN-Generalsekretärs. Die UN SDG Action Campaign hat den Auftrag, Menschen und Organisationen über Sektoren und Regionen hinweg zu verbinden, zu mobilisieren und zu inspirieren, damit sie selbst im Sinne der SDGs aktiv werden und gleichzeitig Entscheidungsträger zur Verantwortung ziehen. Dafür hat die Kampagne eine klare Botschaft: Wir können das Blatt wenden.
„Wir wollen mit unserer Arbeit dabei helfen, ein neues positives Narrativ von Wandel zu prägen“, sagt die Kampagnenchefin. Der Slogan der Kampagne lautet deshalb „Flip the script“ – wende das Blatt. „Wir alle haben in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass eine negative Nachricht in eine positive gewendet werden kann.“ Die Pandemie habe die Welt auf den Kopf gestellt – jetzt sei es an uns, die Art und Weise wie wir bisher gelebt, gearbeitet oder produziert haben, grundsätzlich umzudrehen. Kühnes Handeln sei gefordert und der Augenblick zum Wechsel der alt eingefahrenen Systeme gekommen. Gemeint ist: Apathie in Aktion wenden, Furcht in Hoffnung, Verletzlichkeit in Resilienz, Trennung in Gemeinsamkeit und so fort. 2022 erreichte die Kampagne „Flip the script“ allein über die sozialen Medien 122 Millionen Menschen in 176 Ländern. Sie setzte außerdem 142 Millionen Aktionen in 190 Ländern in Gang.
UN #SDGAwards 2022 | Highlights (auf Englisch)
Die UN SDG Action Awards für mehr Sichtbarkeit
Geschichten des Wandels unter schwierigsten Bedingungen macht die Kampagne sichtbar. Über die Plattform „Global Map of SDG Actions“ können sich alle aktiven Menschen oder Organisationen registrieren lassen. An besonders erfolgreiche Initiativen werden Preise für mehr Sichtbarkeit vergeben – die UN SDG Action Awards. Eine ausgewählte Jury bestehend aus hochkarätigen Repräsentat*innen aus Politik, Wirtschaft und Non-Profit-Bereichen wählt einmal jährlich aus den eingereichten Initiativen die aus, die im besonderen Maße in den Kategorien „Mobilize“, „Inspire“ und „Connect“ zur Erreichung der SDGs beigetragen haben. Durch die zusätzliche „Changemaker“-Kategorie erhöht die Kampagne auch aktiv die Sichtbarkeit einzelner Menschen, die weltweit zu Vorbildern für andere werden.
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Sechs Jahre nach Inkrafttreten der SDGs widmen wir uns der Frage, wie weit die Weltgemeinschaft mit der Umsetzung ist und was es bedarf, um die gewünschten Resultate bis 2030 zu erreichen.