Drei Fragen zu SDG 12 – Nachhaltiger Konsum und Produktion
- 2020-09-29
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Wir sprachen mit Martine Postma, Gründerin und Direktorin der Repair Café International Foundation. Nachdem sie als Journalistin jahrelang über Nachhaltigkeit und Umweltfragen geschrieben hatte, wollte sie mehr tun, als nur für das Problem der Müllerzeugung zu sensibilisieren. 2009 entwickelte sie das Konzept der Repair-Cafés, um aktiv zu versuchen, das Verhalten der Menschen zu verändern. Was in Amsterdam begann, ist heute zu einer globalen Bewegung mit mehr als 2.000 lokalen Repair-Café-Gruppen in 36 Ländern geworden.
1014: Beobachten Sie in Amsterdam, der Heimat des ersten Repair-Cafés, eine Veränderung der Mentalität oder ein zunehmendes Bewusstsein hin zum Reparieren, Ausbessern und Upcycling von Gegenständen gegenüber dem Konsum neuer Produkte?
Martine Postma: Ja, absolut. Amsterdam hat mittlerweile mehr als 20 Repair-Cafés, und ihre Zahl steigt weiter. Die Menschen beginnen zu verstehen, dass wir an unserer Art zu konsumieren etwas ändern müssen, dass wir aufhören müssen, Dinge wegzuwerfen und dermaßen viel Müll zu produzieren. Die Kommune hat kürzlich das so genannte „Donut-Modell“ verabschiedet, um der Stadt dabei zu helfen, im Einklang mit dem Planeten zu agieren. Ein Teil dieser Strategie sollte es sein, die Reparier-Infrastruktur in Amsterdam weiter zu stärken.
Die Haltung gegenüber unseren Konsummustern ändert sich nicht nur Amsterdam, sie ändert sich weltweit. Als ich 2009 das erste Repair-Café gründete, war reparieren nicht das, was die Leute machten. Die Standardreaktion, wenn etwas kaputt ging, war: „Oh, das muss ich neu kaufen.“ Und so denken viele auch immer noch. Aber der große Unterschied heute ist, dass uns allen stärker bewusst ist, dass wir die Erde verschmutzen und uns die Rohstoffe ausgehen. Zudem begreifen die Menschen langsam, dass die Hersteller:innen Reparaturen aktiv verhindern und so die Verbraucher:innen zum Kauf neuer Artikel zwingen. Immer mehr Menschen wollen diese Abhängigkeit nicht mehr. Sie erheben Anspruch auf ihr „Recht auf Reparatur“ und Aktivist:innen verklagen Hersteller:innen. Das ist alles radikal anders als noch vor 10 Jahren.
1014: Wie funktioniert ein Repair-Café? Wer organisiert es und wie erwerben die Leute die Kenntnisse für eine Reparatur? Könnten Sie eine typische Reparatursitzung beschreiben? Wie unterstützt Ihre Stiftung neue Repair-Cafés in anderen europäischen Städten?
Martine Postma: In einem Repair-Café helfen geschickte Menschen aus der Umgebung als Freiwillige ihren weniger geschickten Nachbar*:nnen, heißgeliebte Gegenstände zu reparieren, die kaputtgegangen sind. Repair-Cafés werden in der Regel von einer kleinen Gruppe Bürger:innen organisiert, die etwas Gutes tun möchten – für die Umwelt und für die Gemeinschaft. Sie finden „Reparierer:innen“ in ihren eigenen Kreisen – Autodidakt:innen, die seit Jahrzehnten zuhause herumbasteln. Meiner Erfahrung nach gibt es überall Reparaturexpert:innen und sie engagieren sich gerne, wenn jemand die Initiative für ein Repair-Café ergreift.
Bei einer typischen Repair-Café-Sitzung treffen sich die Reparaturexpert:innen mit ihren Werkzeugen in einem Gemeinschaftszentrum oder einem anderen geeigneten, für die Öffentlichkeit zugänglichen Ort, normalerweise alle zwei Wochen. Die Leute kommen mit ihren kaputten Gegenständen, setzen sich an den Tisch und versuchen, den Gegenstand zusammen mit den Expert:innen zu reparieren. Die Grundidee ist, dass die Leute sehen, wo das Problem liegt, was getan werden muss, und den Gegenstand dann mithilfe der Expert:innen selbst reparieren. Die Leute stellen fest, dass sich ein Problem manchmal mit ein bisschen Kreativität, ein wenig Aufmerksamkeit und pfleglicher Behandlung ganz einfach lösen lässt. Wenn sie Erfolg haben, gibt ihnen das ein gutes Gefühl: „Du hast dein Problem selbst gelöst!“ Mit der Zeit kann dies dazu führen, dass die Leute unabhängiger und findiger werden. Und das ist es, was wir für eine nachhaltige Zukunft brauchen!
Die Repair Café International Foundation hilft diesen lokalen Gruppen, indem sie ein digitales Startpaket bereitstellt, in dem alles steht, was sie wissen müssen: wo man Freiwillige auftreibt, wie man einen geeigneten Raum findet, wie man Werkzeuge sammelt, wie man Werbung macht. Sie erhalten zudem das Repair-Café-Logo in verschiedenen Formaten, Vorlagen für Poster und Flugblätter sowie Registrierungs- und Feedbackformulare. Wenn eine lokale Gruppe so weit ist, meldet sie das der Stiftung und wir markieren ihren Standort auf der Weltkarte der Repair-Cafés. Viele der 2000 Repair-Cafés in 36 Ländern befinden sich in Europa, aber eine wachsende Anzahl liegt beispielsweise auch in den USA, in Kanada, Australien, Neuseeland und sogar in Japan.
1014: Was sollte in einer idealen Welt noch getan werden, um das Ziel von „nachhaltigem Konsum und Produktion“ zu erreichen?
Martine Postma: In einer idealen Welt sollten Hersteller:innen Artikel produzieren, die „reparierbar“ sind. Beispielsweise sollten Gehäuse mit Schrauben zusammengebaut statt miteinander verschmolzen werden, Einzelteile sollten separat entfernt und ersetzt werden können, ohne beim Produkt Schäden zu verursachen. Reparaturanleitungen sollten verfügbar und leicht verständlich sein.
Daneben sollten Verbraucher:innen sich mehr um Instandhaltung und pflegliche Behandlung bemühen. Viele Dinge gehen kaputt, weil die Besitzer:innen nicht richtig mit dem Produkt umgehen – sie führen keine Instandhaltung durch, machen es nicht sauber, schmieren es nicht; sie benutzen die Dinge achtlos und gehen zu grob mit ihnen um. Ein Grund dafür ist, dass viele neue Produkte relativ billig sind: Man kann einen Wasserkocher schon für €12 kaufen. Ein solcher Preis vermittelt den Verbraucher:innen nicht die Vorstellung, ein wertvolles Produkt erworben zu haben, das pfleglich behandelt werden muss.
Eine Art, dieses Problem zu lösen, ist, neue Produkte teurer zu machen. Regierungen könnten dies tun, indem sie Rohstoffe höher besteuern. Im Moment werden Rohstoffe kaum besteuert, was Hersteller:innen erlaubt, diesen ganzen Billigkram zu produzieren. Gleichzeitig sollte Reparaturarbeit billiger werden, indem der Steuersatz für Arbeit gesenkt wird. Warum Reparaturarbeit nicht von der Mehrwertsteuer befreien? Das würde professionelle Reparaturen billiger und damit für Verbraucher:innen mit einem kaputten Gegenstand attraktiver machen.
Wir müssen uns klarmachen, dass Ressourcen knapp sind und wir sie deshalb achtsam und in Maßen benutzen sollten. Wohingegen Arbeit überhaupt nicht knapp ist – es gibt jeden Tag mehr Menschen auf der Welt, und sie alle brauchen einen Job. Wir sollten das Wirtschaftssystem an diese Gegebenheiten anpassen, indem wir es attraktiv machen, mehr von dieser Arbeiter:innenschaft und weniger Rohmaterialien zu verwenden. Im Moment tun wir das nicht: Wir benutzen Ressourcen, als seien sie endlos verfügbar, und lassen Menschen außer Acht, die als Reparateur:innen arbeiten könnten. Das macht keinen Sinn.