„Ich habe sehr von meiner Zeit in Deutschland profitiert“
- 2024-03-12
- Klaus Lüber
- Kommentieren
Gilman-DAAD Germany Scholarships ermöglichen US-amerikanischen Studierenden aus einkommensschwachen Familien Kurzaufenthalte in Deutschland. Die Biologiestudentin Shelby Smith aus Kentucky war von September bis Dezember 2023 zu Besuch an der Universität Regensburg. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen in den ersten Wochen, die Hilfsbereitschaft der Deutschen und ihre neu geweckte Leidenschaft für interkulturellen Austausch.
Frau Smith, Sie hatten eine schwierige Jugend. Sie mussten sich schon früh um Ihre arbeitslosen und kranken Eltern kümmern. Konnten Sie überhaupt eine normale Schule besuchen?
Am regulären Unterricht konnte ich nur bis zur Highschool teilnehmen (bis zum Alter von 14 Jahren, Anm. d. Red.). Danach hatte ich einen Vollzeitjob von 8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, insgesamt 40 Stunden pro Woche. Zeit zum Lernen war dann immer erst nach der Arbeit. Schule bedeutete für mich also Homeschooling, das war wirklich hart. Aber es hat mir auch wertvolle Erfahrungen gebracht. In einer solchen Situation ist gutes Zeitmanagement das A und O. Und das schafft man nur, wenn man weiß, wie man sich selbst motivieren kann. Ich glaube, ich bin in dieser Zeit auch viel schneller erwachsen geworden als viele meiner Altersgenossen.
Sie haben dann mit 15 Jahren angefangen, in einer Augenklinik zu arbeiten.
Ja, das war eine sehr prägende Erfahrung für mich, denn ich habe schnell gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit macht und dass ich mir gut vorstellen konnte, später als Augenoptikerin zu arbeiten und dafür aufs College zu gehen. Also bewarb ich mich am Murray State College, etwa zweieinhalb Stunden von zu Hause entfernt. Ich war das erste Mitglied meiner Familie, das aufs College ging. Das war also eine ganz neue Erfahrung für mich.
Wann haben Sie zum ersten Mal vom Gilman-Programm des DAAD gehört?
Das war im College. Murray State hat ein Austauschprogramm mit der Universität Regensburg, und ich dachte ziemlich schnell, dass das auch etwas für mich wäre. Allerdings konnte ich mir das gar nicht leisten. Also habe ich mich intensiv nach Stipendien umgesehen und bin schließlich auf das Gilman-Programm des DAAD gestoßen. Ich hatte schnell das Gefühl, dass das Programm sehr gut auf Menschen wie mich zugeschnitten ist: Studierende der ersten Generation ohne finanziellen Hintergrund. Also habe ich mit meinen Beratern an der Uni gesprochen und wirklich hart an meiner Bewerbung gearbeitet. Am Anfang war ich etwas skeptisch, ob ich es wirklich schaffen würde. Aber beim Ausfüllen der Formulare wurde mir schnell klar, dass meine Chancen gar nicht so schlecht stehen. Viele der dort genannten Zulassungsvoraussetzungen trafen auf mich zu. Das hat mich motiviert.
Es hat dann geklappt und Sie konnten im letzten Jahr vier Monate in Regensburg studieren. Was waren die ersten Erfahrungen?
Es war sehr aufregend. Der Flug nach Deutschland war für mich der erste überhaupt. Ich bin auch noch nie Zug, Bus oder Taxi gefahren. Alles war ganz neu für mich. In der ersten Woche musste ich mich erst einmal daran gewöhnen, wie Supermärkte in Deutschland funktionieren. Ich weiß noch, wie nervös ich war, als ich zum ersten Mal in einem deutschen Supermarkt war.
Hatten Sie genug Unterstützung?
Ich habe mich vor Ort sehr gut betreut gefühlt, die Universität Regensburg ist wirklich gut organisiert. Ich habe eine chronische Erkrankung, die ärztlich überwacht und medikamentös behandelt werden muss. Meine Betreuerinnen und Betreuer haben mich wirklich gut unterstützt, das hätte ich in den ersten Wochen alleine nicht geschafft. Allerdings hätte ich mir im Vorfeld etwas mehr Hilfe gewünscht. Wir hatten zwar Materialien dazu erhalten, was uns grob erwartet. Aber im Nachhinein wären mehr Details hilfreich gewesen, zum Beispiel zur politischen Situation, zu Kultur und Lebensstil in Deutschland.
Was waren die größten Herausforderungen?
Eine der größten Herausforderungen für mich war es, zu lernen, wie man um Hilfe bittet. Ich bin eine sehr unabhängige Person, das fällt mir generell schwer. Und in den USA ist es tatsächlich oft sehr schwierig, wirklich Hilfe zu bekommen, wenn man sie braucht. Das ist in Deutschland ganz anders. Wenn man dort jemanden um Hilfe bittet, ist es sehr wahrscheinlich, dass er einem auch wirklich hilft. Trotzdem fiel es mir am Anfang schwer, zum Beispiel an der Bushaltestelle zu fragen, ob der Bus in meine Richtung fährt.
Haben Sie Deutsch gelernt?
Ja, ich habe einen Intensivkurs absolviert. Zu Beginn war ich auf einem recht niedrigen Niveau, am Ende der vier Monate konnte ich immerhin einkaufen und nach dem Weg fragen. Ich habe auch vor, weiter Deutsch zu lernen. Dazu habe ich mich auch mit Austauschstudierenden aus Regensburg in Verbindung gesetzt, die hier an der Murray State sind.
Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben aus Ihrer Zeit in Deutschland?
Das war definitiv das Reisen. Alles ist ja so gut zu erreichen in Europa. Nur ein paar Stunden Zugfahrt und man ist in einem anderen Land. Ich war in Italien, der Schweiz, Irland, England, Schottland, Österreich und Tschechien. Ich habe das Kolosseum gesehen und bin in den Alpen gewandert. Auch in Deutschland konnte ich mir einiges anschauen. Auf dem Programm stand zum Beispiel eine Woche Berlin. Das Reisen war etwas, was ich mir fest vorgenommen hatte für meine Zeit in Deutschland. Und ich bin froh, dass das so gut geklappt hat.
Gibt es sonst noch Dinge, die Sie sich vorgenommen hatten für Ihren Aufenthalt?
Eines meiner wichtigsten Ziele war es, neue Impulse von außen zu bekommen und mir eine Pause zu gönnen. Zuletzt hatte ich mich oft gefragt, ob ich überhaupt weiter studieren oder mir nicht lieber einen Job suchen sollte. Von meinem Aufenthalt in Regensburg hatte ich mir erhofft, eine neue Leidenschaft für das Lernen zu entwickeln. Und das hat auf jeden Fall funktioniert.
Hat dabei auch das Kursangebot an der Universität Regensburg geholfen?
Auf jeden Fall! Mein Hauptfach ist ja Biologie, aber in Regensburg hatte ich zusätzlich Literaturwissenschaft, Philosophie und Weltgeschichte. Ich sage es ungern, aber der Geschichtsunterricht in den USA ist nicht besonders gut, wenn es darum geht, über den Tellerrand hinauszuschauen. In Deutschland wird Geschichte viel mehr aus einer globalen Perspektive unterrichtet. Das hat mich sehr inspiriert und mir die Augen dafür geöffnet, dass die Welt so viel mehr zu bieten hat, als ich bisher wusste. Und ich freue mich darauf, noch mehr davon zu sehen.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Möchten Sie nach Deutschland zurückkehren?
Das würde ich sehr gerne. Das Austauschprogramm hat mir die Angst genommen, ins Ausland zu gehen. Tatsächlich habe ich mich gleich nach meiner Rückkehr in die USA mit meinem Verlobten zusammengesetzt und überlegt, wann der richtige Zeitpunkt wäre für die nächste Reise.
Welchen Rat würden Sie Studierenden mit ähnlichem Hintergrund geben, die sich für ein Auslandsstudium bewerben wollen und vielleicht zögern, weil sie Angst haben, bei der Bewerbung zu scheitern oder davor, was sie erwartet?
Versucht es trotzdem. Es ist ein Programm, das genau auf eure Situation zugeschnitten ist. Ihr seid die Ersten in eurer Familie, die studieren? Ihr wart noch nie im Ausland? Ihr könnt die Erste oder der Erste sein, so wie ich. Und eure eigene Erfahrung ist wiederum ein Vorbild für andere: für eure Kommilitoninnen und Kommilitonen oder eure Eltern. Ich kann euch nur raten: Bleibt motiviert und lasst euch nicht unterkriegen!
Interview: Klaus Lüber (6. Februar 2024)
Quelle
Dieser Beitrag wurde ursprünglich im veröffentlicht.
Wir bemühen uns um eine gendersensible Sprache. Externe Texte entsprechen möglicherweise nicht unseren Konventionen für Formulierungen.