„Jeder sollte auf Twitter sein!“
- 2020-10-07
- Jasmin Siebert
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Etliche Chemielabore waren an einem Montag Anfang September 2020 in mehr als 40 Ländern verwaist. Einige hundert überwiegend lateinamerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbrachten diesen Tag auf der , einer digitalen Konferenz auf Twitter. Mehr als luden die Chemikerinnen und Chemiker hoch, um ihre Arbeit vorzustellen und sich mit anderen dazu auszutauschen.
Auch der brasilianische Chemiker , der an der Universität Würzburg forscht, beteiligte sich. Mehr als 700 mal wurde sein zur chemischen Verbindung von Cyano-Borylenen gelesen, 110 mal geliked. Die kostenlose und niedrigschwellige Konferenz sei insbesondere für Studierende aus ärmeren Ländern eine gute Gelegenheit gewesen, ihre Arbeit zu präsentieren, sagt Fantuzzi. Sie können aus vielerlei Gründen sonst oft nicht an internationalen Meetings teilnehmen.
„Ein voller Erfolg“, sagt auch Ariane Ferreira Nunes-Alves. Die brasilianische Biochemikerin hat die Twitter-Konferenz mitorganisiert. Die Initiatorin des Treffens hat sie dabei nie persönlich getroffen. Das Organisationsteam kommunizierte digital über Zoom und WhatsApp.
Sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind auf Twitter bereits präsent
Nunes-Alves selbst hat seit 2009 einen – aber erst seit zwei Jahren nutzt sie ihn aktiv. Da hatte sie einen Wissenschaftsredakteur auf einer Chemie-Konferenz getroffen. Beim Jengaspiel erzählte er ihr, dass er auf Twitter aktiv sei. „Wenn er dort unterwegs ist, sollte ich das auch machen“, dachte sich die Chemikerin. Inzwischen hat sie selbst mehr als 3.000 Tweets für ihre inzwischen mehr als 1.500 Follower abgesetzt.
„Jeder sollte auf Twitter sein!“, findet sie. Sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien dort präsent, vor allem auch, um schnell freie Stellenangebote zu finden. Doch Nunes-Alves warnt vor der Suchtgefahr: „Pass auf deine Zeit auf, sonst verbringst du den ganzen Tag auf Twitter.“ Sie hat sich selbst ein Limit gesetzt: jeden Morgen nicht mehr als 20 Minuten.
Wissenschaft demokratischer gestalten
Felipe Fantuzzi hält Twitter ebenfalls für die wichtigste soziale Plattform. „Vor allem während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig verlässliche Informationen und seriöse Paper sind“, sagt er. So hätten Biologie-Studierende in Brasilien über die Risiken von Corona aufgeklärt. „Sie haben eine Lücke besetzt, die sonst mit Fake News gefüllt worden wäre“, sagt Fantuzzi. Es sei wichtig, die eigene wissenschaftliche Arbeit nicht nur mit Kolleginnen und Kollegen, sondern mit der Gesellschaft zu teilen.
Fantuzzi präsentiert seine Forschung seit 2015 auch auf einer eigenen , die er entwarf, weil seine brasilianische Forschungsgruppe bis dahin nicht im Netz vertreten war. Er rät anderen Nachwuchsforschenden, vor allem aus Ländern des globalen Südens, ihre Arbeit ebenfalls im Internet zu präsentieren.
Soziale Netzwerke und Online-Konferenzen machen Wissenschaft demokratischer – darin sind sich Ariane Ferreira Nunes-Alves und Felipe Fantuzzi einig. „Auch nach Corona sollte es weiterhin viele Online-Konferenzen geben“, fordert Nunes-Alves. Der ökologische Fußabdruck sei kleiner, da niemand ins Flugzeug steigen müsse, das wiederum erhöhe die Zugänglichkeit. So könnten auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ländern teilnehmen, die kein großes Budget für Forschungsreisen haben.
Das Web als Türöffner
Dass mit einer leichten Zugänglichkeit die Teilnehmenden diverser werden, beweist die kostenlose Online-Konferenz „“ Anfang September, die Nunes-Alves ebenfalls mitorganisiert hat. Anlass für die Konferenz war eine Studie, wonach die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen von Frauen während des Lockdowns drastisch sank, während sie bei Männern gleich blieb. Die Referentinnen kamen aus Europa, Amerika und Afrika. Am beeindruckendsten fand Nunes-Alves die Rede einer Pharmakologie-Professorin aus Nigeria. Bei einer physischen Konferenz wären sich die beiden Frauen wohl nicht begegnet.
Soziale Netzwerke können auch Türöffner für eine wissenschaftliche Karriere im Ausland sein. Bei Felipe Fantuzzi hat das virtuelle Forschungsnetzwerk sein berufliches Leben nachhaltig verändert. Nachdem er seinen Doktortitel in der Tasche hatte, schrieb er eine Gruppe von Biochemiker:innen aus Würzburg an, welche Möglichkeiten es zur Zusammenarbeit gebe. Ein Professor empfahl das , Fantuzzi bewarb sich – und kam 2018 nach Deutschland.
Bloggen für mehr Aufmerksamkeit
Ein anderes Instrument, um seine eigene Forschung zu promoten, ist das Bloggen. Die russische Umweltaktivistin Marina Shalginskikh beispielsweise veröffentlicht Beiträge auf russischer und deutscher Umweltorganisationen sowie auf ihrer eigenen - und -Seite. Mehr als 2.500 Menschen folgen ihr.
Einen guten Blogeintrag machen laut Shalginskikh drei Dinge aus: schöne Bilder, ein interessanter Text und das Ich-Format. „Es ist wichtig, eine persönliche Marke zu entwickeln: Wer bin ich? Was mache ich?“, sagt die Umweltaktivistin. Auf Instagram zeigt sie sich zum Beispiel mit ihren Kindern beim „Yoga & Clean Up“ am Kölner Rheinufer. Alle tragen Gummihandschuhe und rote T-Shirts, die Tochter hält eine Tüte mit aufgesammelten Zigarettenstummeln in der Hand, Shalginskikh einen gefüllten Müllsack. Das Foto sieht authentisch aus und vermittelt die Botschaft: Müllsammeln mit Kindern kann durchaus eine nette Freizeitbeschäftigung sein und man tut etwas Gutes.
Bei ihren Follower:innen kam die Aktion gut an. Viele schickten ihr Fotos, die sie ebenfalls beim Müllsammeln zeigten. Immer wieder erhält sie Nachrichten von inspirierten Follower:innen, die wegen ihr den eigenen Alltag verändern. Die Bloggerin ist überzeugt: „Auch wenn die Reichweite klein ist, kann man etwas bewirken.“
Natürlich hat Shalginskikh auch schon Flops erlebt. „Wenn ein Text zu kompliziert ist oder zu viele Fachbegriffe enthält, steigen die Leute aus. Mein Tipp: kurze, verständliche Texte schreiben.“ Sie müssen aber natürlich auch zum Format passen: Für den Blog einer Umweltorganisation schreibt sie längere Texte, für Instagram und Facebook einfache Kurzversionen.
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